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  • AutorenbildStefan Bremler

Der amerikanische Traum aus Selzen

Aktualisiert: 8. Jan. 2022

Die Geschichte des Jacob Obermann aus Selzen, der im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sein Glück suchte und Teil einer Legende wurde.


Schuster, bleib' bei deinem Leisten!

Die Redewendung "Schuster, bleib' bei deinem Leisten" soll angeblich schon im 4. Jahrhundert v. Chr. entstanden sein. Der „Leisten“ ist die Modellform des Schusters, die er benutzt, um Schuhe anzufertigen. Damals wurde das Sprichwort verwendet, wenn jemand einen Kommentar zu etwas abgab, von dem er oder sie nichts verstand. Heute meint es eher: "Tu lieber das, was du kannst und lass sein, wovon du keine Ahnung hast“.


Ein Schuster im Land der unbegrenzten Möglichkeiten

Einem gelernter Schuster aus Selzen war die Redewendung "Schuster, bleib bei deinem Leisten" egal und er probierte im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" etwas Neues aus. Damit gelang ihm im die Verwirklichung des sogenannten amerikanischen Traums: „Vom Tellerwäscher zum Millionär“.


Selzen und die Milwaukee Brewers

Für Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin spielt in der amerikanischen Baseball-Liga ein Team mit dem Namen „Milwaukee Brewers“. An dem Team-Namen „Brewers“ (Bierbrauer) ist auch der Selzer Schuster nicht ganz unschuldig. Denn mit ihm ehren sie die Brautradition in Milwaukee, die dort durch deutschstämmigen Einwanderer wie Jacob Obermann aus Selzen entstand.


Logo der "Milwaukee Brewers".

Die Geschichte des Jacob Obermann aus Selzen.



Der Anfang


Es gibt die Anekdote wonach in Selzen eine der Feuerwehrspritzen die „Schuster-Spritze“ genannt wurde. Den Namen hatte sie bekommen, weil sie nur von Männern aus dem Schuster-Handwerk bedient wurde. Es scheint, als habe es in Selzen immer viele Schuster gegeben. Vielleicht war das, neben möglichen wirtschaftlichen, religiösen oder politischen Motiven, ein Grund für den am 23. März 1819 in Selzen geborenen Jacob Obermann seine Heimat zu verlassen und nach Amerika auszuwandern.


Schuster in Selzen: "De Hambojer Schusder" Paul Schneider Anfang des 20. Jahrhunderts.

Jacob Obermann war der Sohn des "Ackersmann" Johannes Peter Obermann und erlernte das Schuhmacher-Handwerk in Mainz. Im Sommer 1843 verließ er 24-jährig Selzen, erreichte den Hafen von New York und begab sich nach Milwaukee im Bundestaat Wisconsin. Einer der ersten Neuankömmlinge dort war der Guntersblumer Förster Franz Neukirch, der sich 1839 in der Gegend von Milwaukee niederließ. In seinen zahlreichen Briefen in die Heimat schwärmte er alsbald von den zahlreichen Vorzügen Amerikas – und löste damit eine riesige Kettenwanderung aus, der wohl auch Obermann folgte. ³ ⁴


Insbesondere der mittlere Westen der USA war ein begehrtes Siedlungsgebiet, weil die Regierung dort günstig Land verkaufte, das sie zuvor den Indianern abgenommen hatte.

In Milwaukee und dem Umland, einem Gebiet, das halb so groß ist wie der Landkreis Mainz-Bingen, stellten schon bald die Rheinhessischen Auswanderer die Mehrheit der Bevölkerung. ⁴

Jakob Obermann heiratete unmittelbar nach seiner Ankunft in Milwaukee im September 1843 Maria Schmitt aus dem rheinhessischen Wald-Uelversheim. Sein Vater Peter Obermann besaß 1817 noch 7 Morgen Ackerland und 1 Morgen Weinberge in Selzen und gehörte mit seinem "Vermögen" zur Selzer Mittelschicht. 1846 folgte er dennoch seinem Sohn und wanderte zusammen mit zwei weiteren Kindern von Selzen nach Amerika aus.


Nur sechs Jahre später, im September 1852, erlitt Jacob Obermann innerhalb einer Woche zwei Tragödien. Am Montag den 6. starb sein Vater Peter Obermann. Ihm folgte nur wenige Tage später Obermanns Frau Maria, die am 14. verstarb. ²



Vier Monate nach ihrem Tod heiratete er im Januar 1853 ihre jüngere Schwester Barbara. Die Anzahl der Kinder aus beiden Ehen ist nicht ganz klar. Er könnte eventuell bis zu 16 Kinder bekommen haben, wovon viele bereits am Kindbett oder in frühen Jahren verstorben waren. ²



Der Aufstieg


Als der gelernte Schuhmacher 1843 in Milwaukee keine Arbeit in seinem Handwerk fand, eröffnete er ein Schuhgeschäft und dann 1849 einen Lebensmittelladen mit einer Nebenerwerbsbrauerei. ¹

 

Aus der Tageszeitung „MILWAUKEE SENTINEL“ vom 07. März 1854:

"Gestern Morgen zwischen 3 und 4 Uhr ereignete sich in der Chestnut Street ein Feuer, bei dem zwei Gebäude zerstört wurden. … Ein Lebensmittelgeschäft von Mr. Oberman wurde ebenfalls zerstört, Verlust an diesem Gebäude etwa 600 $ über die Versicherung, …"

 

Als Obermanns Geschäft 1854 durch Brand zerstört wurde, erwarb er, vermutlich von der Versicherungssumme, drei Bauplätze an der Ecke von Fifth Street und Cherry Street und gründete im selben Jahr die „Germania Brewery“. ¹


Zunächst beschäftigte der Selzer fünf Arbeiter und produzierte in bescheidenem Umfang in einem kleinen hölzernen Gebäude. Ab 1861 ging Obermann Partnerschaften ein und konnte 1866 mit seiner Firma Jacob Obermann & Co. ein aus festem Mauerwerk bestehendes Brauereigebäude mit einem Malzhaus erbauen. Wenig später kamen Eishäuser und große Kellergewölbe zur Lagerung des Bieres hinzu. ¹


Die J. Obermann Brewing Company um 1880.

All die Migranten wollten nicht auf eine Annehmlichkeit aus ihrer Heimat verzichten: auf ihr helles, kohlensäurehaltiges Lagerbier aus Gerste und Hopfen. Und so wurde in Milwaukee, damals die Stadt mit der stärksten deutschen Bevölkerung, das Brauen des später weltweit berühmten Biers ein zentraler Wirtschaftszweig. 1860 gab es alleine in Milwaukee bereits über 35 Brauereien, deren Umsätze nur von der Eisenindustrie übertroffen wurden. ⁴


Der Amerikanische Bürgerkrieg (1861 bis 1865), in dem auch deutsche Einwanderer kämpften, sorgte für die überregionale Verbreitung des „Milwaukee-Bier“. Dank der verbesserten Infrastruktur und der Verbreitung des Pasteurisierungsverfahrens konnte das Bier bald auf Straßen, Schienen und Schiffen in alle Winkel der USA (und sogar darüber hinaus) transportiert werden. ⁴


Überall trank man „Lager“ made by Rheinhessen. Die amerikanische Brauindustrie war fest in deutscher Hand. ⁴



Zwanzig Jahre lang bis etwa 1874 war die "Germania Brewery" des gebürtigen Selzers Jacob Obermann die größte Brauerei in Milwaukee und damit eine der größten der USA.

Historischer Aschenbecher der Obermann-Brauerei.

Der Selzer widmete sich früh karitativen Aufgaben. Schon 1846 wurde unter seiner Beteiligung ein Hilfsverein gegründet. In den 1860er Jahren war er Mitglied des Stadtrates und der Schulbehörde. 1865 wurde er sogar Mitglied der Regierung in Wisconsins Hauptstadt Madison. Nachdrücklich verfocht er die Interessen seiner Berufsgruppe, vertrat die Brauer Milwaukees auf nationalen Konferenzen und wurde 1874 in Boston zum Vizepräsidenten der National Brewers‘ Association gewählt. ¹


Vielleicht durch die Zerstörung seines Ladens geprägt, gründete er die "Brewers Fire Insurance Company" (Feuerversicherungsgesellschaft für Brauereien). Im Verwaltungsrat waren neben ihm als Präsident mit Fred Pabst, Valentin Blatz, Joseph Schlitz, Fred Miller, Franz Falk und Adolphus Busch die Besitzer der größten Brauereien der 1870er und 1880er Jahre vertreten.


Er galt als sehr beliebt und großzügig.

 

Aus der Tageszeitung „MILWAUKEE SENTINEL“ vom 29. JULI 1863:

„… Nach der Vertagung des Gemeinderats am Montagabend lud Gemeinderat Obermann den Verwaltungsrat und die Zeitungsreporter ein, mit ihm in seinen Saloon an der Ecke Tamarack/Third Street zu gehen und Erfrischungen zu sich zu nehmen. Alle Parteien nahmen die Einladung an und wurde vom Stadtrat großzügig bewirtet. Er sagte, er könne den zwanzigsten Jahrestag seiner Landung in dieser Stadt nicht ohne Feier verstreichen lassen und lud deshalb seine Freunde ein."

"Wir werden die jetzige Gelegenheit nutzen, zu sagen, dass wir Rat Obermann als eines der besten Mitglieder in beiden Ratsgremien betrachten, … Wir hoffen, dass er noch leben kann, um seinen vierzigsten Jahrestag zu feiern, als er zum ersten Mal seinen Fuß in Milwaukee gesetzt hat.“
 

Der Niedergang


Bis 1880 produzierte die „Germania Brauerei“ jährlich 30.000 Fässer Lagerbier.

Doch am 24. April 1887 starb Jakob Obermann im Alter von 68 Jahren.


Der gebürtige Selzer Jacob Obermann (1819-1887).

 

Aus der Tageszeitung „MILWAUKEE SENTINEL“ vom 26. APRIL 1887:

"Gestern Abend, kurz vor 12 Uhr, verstarb Jacob Obermann, leitender Angestellter der Firma J. Obermann & Company, Brauer, in seinem Haus in der Fifth Street. Er war seit zwei oder drei Tagen krank und die Todesursache wird auf eine Herzlähmung zurückgeführt. ..."

 

Der schlichte Einheitsgrabstein von J. Obermann. ²

Seine Söhne übernahmen nun die Firmenleitung. Mit einer Produktion von über 5 Millionen Liter Bier im Jahr 1891 war die in Jacob Obermann Brewing Company umfirmierte Firma, die mittlerweile einen ganzen Straßenblock umfasste, ein imposanter Betrieb. Aber längst übertrafen andere Brauereien deutschstämmiger Auswanderer die Germania Brewery bei weitem. Die ...

  • Milwaukees Pabst Brewing Company (J. Best aus Mettenheim),

  • Joseph Schlitz Brewing Company (J. Schlitz aus Mainz),

  • Valentin Blatz Brewing Company (V. Blatz aus Miltenberg) und

  • Miller Brewing Company ( Charles und Lorenz Best aus Mettenheim), sowie überregional

  • Anheuser-Busch Brewing Association (E. Anheuser aus Bad Kreuznach und A. Busch aus Mainz-Kastel) in St. Louis, Missouri,

... hatten sich durch Fusionen und klugen Entscheidungen zu wahren Braugiganten und Bier-Dynastien entwickelt.


Die Hauptattraktion von Milwaukee: Bier.

Die Obermann-Söhne verloren den Kampf gegen diese „Emporkömmlinge“. Als beim Börsencrash 1893 der Hauptkreditgeber finanzielle Probleme bekam, musste die Brauerei Obermann Konkurs anmelden.

 

Aus „DIE WESTERN BRAUER - ZEITSCHRIFT DES GERSTE-, MALZ- UND HOPFENHANDELS“ vom 15. MÄRZ 1895:

"Am 16. Februar 1895 ging die Obermann Brewing Company of Milwaukee zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren in die Hände eines Konkursverwalters, … Der Anwalt des Unternehmens gab an, dass sich das Vermögen des Unternehmens auf 500.000 US-Dollar und die Verbindlichkeiten auf etwa 265.000 US-Dollar beliefen. Er begründete das Scheitern mit der starken Ausweitung des Geschäfts und die unglückliche Gründung einer Niederlassung in Chicago, bei der 200.000 Dollar verloren gegangen seien."

 




Die Germania-Brauerei wurde schließlich 1896 versteigert. Philipp Jung (aus dem Wetterau-Kreis) kaufte die Germania, die in diesem Jahr 172.880 Hektoliter Bier produzierte, für 230.000 Dollar.


Die neuen Inhaber: Die Philipp Jung Brewing Company stellt sich dem Fotografen.

Die Brauerei der Philipp Jung Brewing Company wurde dann aber zu Beginn der Prohibition (landesweiter Verbot der Herstellung von Alkohol), die von 1920 bis 1933 andauerte, endgültig geschlossen.



Was bleibt


Die Brauerei an der Ecke von Fifth Street und Cherry Street verfiel, wurde 1982 abgerissen und als Schrottplatz genutzt. Nur das verbliebene Haupthaus von 1866 erinnerte bis zur Beseitigung 2008 an die Germania Brauerei und den Begründer Jacob Obermann aus Selzen.


Vor seinem Ende machte das Obermann-Firmengebäude im Jahr 2002 ein allerletztes mal von sich reden.

„Wir stecken im Keller des Obermann-Brauereigebäudes auf der 5th & Cherry fest.“

Potentiellen Käufern wurde das Gebäude gezeigt und dabei ging es mit einem über 75 Jahre alten Lastenaufzug in den großen und weitverzweigten Gewölbekeller. Als auf dem Rückweg der Aufzug nicht mehr funktionierte, stellte man fest, dass es gar keine Treppen gab. Zur Rettung mußte die Feuerwehr ein Loch in den Boden hacken und bohren.




Die meisten der alten Bier-Giganten sind inzwischen vom Markt verschwunden. Die Produktionen wurden geschlossen beziehungsweise ausgelagert. Von einigen Brauereien existieren nur noch die Biermarken.


Anheuser-Busch (mit der Marke "Budweiser") indes rangiert heute als weltweit größtes Bierimperium vor der Miller Brewing Company. ⁴ Beide Unternehmen gegründet und groß gemacht von deutschen Auswanderern wie dem Selzer Jacob Obermann, mit dem vieles begann.



Quellen:

¹ Vgl. Helmut Schmahl: Verpflanzt, aber nicht entwurzelt. Die Auswanderung aus Hessen-Darmstadt (Provinz Rheinhessen) nach Wisconsin im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2000. Kapitel 7.5.4. Jakob Obermann.

² Vgl. Internetseite "Find a Grave", Suche: Jacob Obermann

³ Vgl. Helmut Schmahl: Verpflanzt, aber nicht entwurzelt. Die Auswanderung aus Hessen-Darmstadt (Provinz Rheinhessen) nach Wisconsin im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2000. Kapitel 5.4.1. Der "rheinhessische Kolonisator" Franz Neukirch und Kapitel 5.4.2. Formen und Verlauf der Kettenwanderung

⁴ Vgl. Martin Plän: Rheinhessische Auswanderer begründeten in den USA die Erfolgsgeschichte des Biers. Wiesbadener Kurier, 2017.


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