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AutorenbildStefan Bremler

Von Fröschen, roten Ärschen und Angebern

Aktualisiert: 11. Feb. 2021

Eine Kindheitserinnerung wird wieder lebendig: Das kulturhistorische Wandbild aus dem Selzer Frosch erlebt ein Comeback.


Unterschiedliche Herrschaftsverhältnisse, Konflikte, Konkurrenzkämpfe und Neid, aber auch Gemeinsamkeiten, Zusammenhalt und Hilfe in schwierige Zeiten. Die Gemeinden Rheinhessens sind zusammen durch die wechselhafte Geschichte der Region gegangen. Über humorvolles Spielen mit dem Ortsnamen, feine Ironie, sanfte Stichelei, ausgeprägter Sarkasmus oder scharfer verletzender Spott bildeten sich über Jahrhunderte Necknamen für die Nachbargemeinden.


Wie du mir, so ich dir


Ein Ortsneckname (auch Uzname oder Spitzname) ist die scherzhafte Bezeichnung der Ortseinwohner durch die Bevölkerung benachbarter Orte. In der Regel erzählt man sich eine - nicht selten aber auch mehrere, voneinander abweichende - schwankhafte Geschichte, die den Ortsnecknamen erklärt. Viele Beinamen entstanden schon im Mittelalter oder im Laufe des 18. Jahrhunderts. Bei manchen ist der Ursprung und Hintergrund des Namens mit der Zeit verloren gegangen. ¹


Neckereien sind einerseits Ausdruck eines Zusammengehörigkeitsgefühls und andererseits ein Abwehrmittel gegen das Fremde. Der Spötter betrachtet sich allein selbst als den Besitzer der rechten Sitte, Sprech- und Lebensweise und wehrt und wertet das Fremde mit der Waffe des Spottes ab. ²


Und da sich alle Gemeinden in dieser Position glaubten, folgte dem Spott automatisch der Gegenspott nach. Und so überziehen die Ortsneckereien wie ein dichtes sozialkulturelles Gewebe die rheinhessische Landschaft. Kaum eine Gemeinde in Rheinhessen, die nicht mindestens einen historischen Spitznamen hat. ²


So bekam Jeder, ob er es wollte oder nicht, mit seiner Geburt oder Wahl des Wohnortes einen zweiten Herkunftsnamen, der eng mit dem Ortsnamen verbunden ist: z. B. die Selzer Frösche oder die Kingerumer Staaklobber.


Früher kam die Verspottung mit dem Ortsnecknamen einer Aufforderung zum Kampf gleich. Mittlerweile wird diese „Feindschaft“ zwischen den Gemeinden eher folkloristisch zelebriert. Viele der Städte und Gemeinden schmücken sich sogar mit ihren Spottnamen und betrachten ihn stolz als Teil ihrer Identität. Sie nutzen ihn touristisch und widmen ihnen Brunnen oder moderne Denkmäler. ² So wie auch in Selzen geschehen.


Frosch-Skulptur von 1996 in der Bergstrasse

Das Wandgemälde


Doch nur selten ist der Spagat zwischen Spott und liebevollem Humor so gelungen wie in einem Wandbild von 1959. Gemeint ist das Wandgemälde in der Gaststätte „Zum Selzer Frosch“. Dieses wurde 1959/60 nach einer Idee des damaligen Inhabers Werner Andreas von dem Wallufer Ortsmaler Karl-Heinz Roth umgesetzt.


Das original Wandgemälde von Karl-Heinz Roth, nach einer Idee von Werner Andreas (1959/60)

Das Gemälde zeigt im geschichtlichen Zusammenhang mit dem für Rheinhessen verheerenden Dreißigjährigen Krieg und in Anlehnung an den bekannten Schwank „Die Sieben Schwaben“ unser Heimatdorf Selzen und sieben seiner Nachbargemeinden.

Dabei besonders bemerkenswert und interessant ist, dass die Gemeinden in Versinnbildlichung ihrer historischen Ortsnecknamen dargestellt sind. So erscheint Selzen als Frosch und die Nachbargemeinden als Spießgesellen des Dreißigjährigen Krieges, eindeutig erkennbar an den Hinweisen bezüglich ihrer Spottnamen.


Veranlasst und finanziert wurde das Bild damals von der Binding-Brauerei aufgrund eines Brauereivertrages. Bei einem solchen Vertrag hilft die Brauerei mit Startkapital, der Ausstattung oder einem Werbekostenzuschuss. Im Gegensatz dazu bindet sich der Gastronom an Produkte, Mindestabnahmemengen und Lieferanten. Und so ist es nicht verwunderlich, dass der Frosch in der ersten Fassung eine Bierflasche hochhält.


Alte Postkarte von der Gaststätte "Zum Selzer Frosch". Links unten das Wandbild und der Frosch mit Bierflasche

Das ging für ein Weindorf irgendwie so gar nicht. Im Jahr 1960 nach einigen Runden mit leckerem Selzer Wein, wurde aus der Bierflasche ein Selzer Römerglas gemacht. Mittlerweile ist das Wandbild gealtert und von Nikotin gezeichnet unter einer Wandplatte verschwunden und wartet auf seine Wiederentdeckung und vielleicht auch eines Tages auf die Wiederherstellung.


Die Hauptdarsteller


Bevor ich die Necknamen vorstelle, möchte ich das lesenswerte Buch „Blarrer Zappe Leddeköbb – Ortsneckereien aus Rheinhessen“ von Hans-Jörg Koch aus Wörrstadt erwähnen und empfehlen. Von Abenheim bis Zotzenheim – der Autor hat alle Gemeinden Rheinhessens mit ihren Necknamen aufgelistet und erläutert deren Herkunft. Daraus die Erklärungen für die Necknamen unserer Orte.


Die „Selzer Frösch“

Ähnlich wie die Bewohner von Frettenheim, Hohen-Sülzen und Stadecken werden die von Selzen als Frösch bezeichnet. Nicht nur, dass es entlang der Selz viele Frösche gab. Der Legende nach seien die Bewohner im Mittelalter ständig oder zu gewissen Zeiten verpflichtet gewesen, die Frösche im Bach oder Teich dadurch zum Schweigen zu bringen, dass sie mit Stangen in das Wasser schlugen. Die Gutsherrschaft wollte ungestört vom Quaken schlafen können. Solche Verpflichtungen bestanden vielfach in Deutschland. ³


Die "Mummerumer Bollkuche“

Für die Herkunft dieses eigenartigen Namens gibt es zwei ganz ähnliche Deutungen. Die eine gründet sich auf das Mehl, das für bestimmte, in Mommenheim übliche Kuchen verwendet wurde, das sogenannte Bollmehl. Darunter versteht man ein Mehl, das je zur Hälfte aus Roggen und Weizen bestand. Der Name dieses Mehls wiederum kommt von dem der Schaufel, die im Mehlkasten lag. Sie fasste 1 Pfund und diente als Maß, man nannte sie "die Bolle".


Die andere Deutung ist nur auf das Endprodukt bezogen. Dies sei ein sehr dicker, weil stark aufgetriebener Kuchen gewesen. Er habe eben darum von den Einwohnern der Nachbardörfer die Vorsilbe „Boll-“ (= dick) erhalten. Es handelt sich dabei um einen Hefezopf. ³


Die Mommenheimer werden auch „Hochbrunser“, „Kaduchenemer“ oder „Neu-Brandenburger“ genannt. Erklärungen hierfür … im Buch.


Die „Kingerumer Staaklobber“

Die Gemarkung von Köngernheim ist klein. Sie konnte die Bewohner daher nur recht und schlecht ernähren. Viele arbeiteten deshalb beim Bau der Chausseen (veraltete Bezeichnung für Landstraße) durch und in Rheinhessen als Steinklopfer. Es waren dies Hilfsarbeiter, die den eigentlichen Pflasterern die rohen Basaltsteine vorbereiteten, ihnen die notwendige Form gaben oder sie mit dem Schlegel zur Ausbesserung der Straßen zerkleinerten. ³


Die „Hohnemer Bloomäuler“

In Rheinhessen ist der Neckname Blooköbb auf die Protestanten gemünzt. Diese heißt man, im Gegensatz zu den Katholiken („die Schwarze“), nämlich „die Blauen“ (die Blooe). Anknüpfungspunkt für diese Farbzuweisung dürfte das Lila der evangelischen Kirchenfahne sein, das als Blau empfunden wurde.


Ob der Beiname Bloomäuler (wörtlich: Blaumäuler) für die Hahnheimer auch so gemeint ist, mag fraglich sein. Mehr spricht für die Annahme, dass die Nachbarn sie als Maulhelden und Prahlhänse einstuften.


Daneben gibt es noch den auf das Dorf gemünzte Uzname „Gickelsem“. ³


Die „Schwosbercher Rotärsch“

Rote Erde ist für die Rebenhänge am Rhein zwischen Nackenheim und Nierstein charakteristisch. Es handelt sich um Quarzporphyrböden, die Sonnenwärme besonders gut speichern und würzige, aromatische Weine hervorbringen. Auf diese besondere geologische Bodenbeschaffenheit gründet sich der Neckname Rotärsch. ³


Oder kurz: Wer sich dort einmal auf den Hosenboden gesetzt hat, weiß, woher der Name kommt.


Daneben heißen sie aber auch „Fassnachtsnarre“ und „Lumbe“.


Die „Friesenemer Kuckucke"

Das Buch kennt für Friesenheim den Necknamen Kuckuck nicht. Bekannt dagegen sind die Namen "Krakauer" und "Loko".


Gleichwohl ist Kuckuck einer der bekanntesten und am häufigsten genutzte Neckname. Dabei hat der Uzname mehrere Ursprünge, die aber nicht – wie so oft – unterschiedlicher Deutungen sind, sondern mehrere Geschehnisse betreffen, die (zufällig?) alle mit dem Kuckuck zu tun hatten. ³ Gleich ist allen Geschichten, dass die Bewohner dabei nicht gut wegkommen und zumeist als einfältig dargestellt werden.


Die „Unerumer Windbeidel“

Der Neckname Wind (oder Windbeutel) ist in Rheinhessen weit verbreitet. Er gilt auch für Alsheim, Aspisheim, Bodenheim, Jugenheim, Nieder-Olm, Schwabenheim, Sprendlingen, Wörrstadt und Wolfsheim.


Windbeutel sind unzuverlässige, leichtlebige Menschen. Der Neckname Wind unterstellt Prahlerei, Großtuerei und Angeberei. Im Allgemeinen weißt ein solcher Beiname darauf hin, dass die Bewohner etwas Besseres sein wollten und sich auch so darstellten. Man kleidete sich besser als in den Nachbarorten üblich, „strunzte“ und zeigte, was man hatte. Kurz: sie „machten Wind“.


Für Undenheim kennt man auch die Beinamen „Hochsaicher“ und „Keeslecker“. ³


Die „Zornemer Knorrköbb“

Eigensinnige, starrköpfige Menschen bezeichnet man als Knorrköbb. ³ Ob in dem Originalbild Zornheim oder Sörgenloch gemeint ist, ist nicht mehr ganz klar.


Zornheimer heißen auch „Laddwerschstembel“ und „Sturm“, Sörgenlocher auch „Nazarener“ und „Staaböck“.


Die Gegend


Im Originalbild ist im Hintergrund die Selzer Mühle aus dem 17. bis 19. Jahrhundert zu erkennen. Die Szene spielt sich an der Selz ab, dem Bach, der Selzen durchfließt und den Namen gab.


Das Comeback


Unterstützend zu dem Blog „DER SELZER“ möchte ich zukünftig Dorfgeschichte durch die Umsetzung ehrenamtlicher und selbstfinanzierter Projekte sichtbar und erlebbar machen. In meinem ersten Projekt ist am 08./09. Juni 2020 das identitätsstiftende und kulturhistorische Wandbild im öffentlichen Raum wieder neu entstanden.


Mehr zur Umsetzung des Projektes mit Wissenswertem, Bildern und Videos unter:




Quellen:

¹ Vgl. Seite „Ortsneckname“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 27. April 2020. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Ortsneckname&oldid=199343543

² Vgl. Helmut Seebach, "Pfälzer Volkshumor - Die Necknamen der Dörfer, Städte und Landschaften", Bachstenz-Verlag, 1993

³ Vgl. Hans-Jörg Koch, "Blauer Zappe Leddeköbb - Ortsneckereien aus Rheinhessen", Verlag der Rheinhessischen Druckwerkstätte Alzey, 1996


Die von Zeichnungen stammen aus einem frühen Entwurf der Künstlerin Miriam Frank, München. Sie lehnen sich stark an dem Original von Karl-Heinz Roth an und wurden von mir nachträglich etwas bearbeitet und eingefärbt.

Die Künstlerin hat in meinem Auftrag eine weitere künstlerisch eigenständige Bildinterpretation gezeichnet. Diese wird demnächst veröffentlich. Das Beitragsbild ist ein Auszug aus dieser gelungenen Grafik.

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