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  • Trude Eibach

Ostereier im Park

Aktualisiert: 21. Jan. 2022

Domhofstraße 7: Der Domhof - Geburtsstätte von Selzen. Erinnerungen an die Kindheit in dem ortsgeschichtlich bedeutenden Anwesen.


Ein Beitrag von Trude Eibach und Carola Holler im Rahmen der Aktion "Selzer Häuser erzählen".



Einfahrt zum Domhof mit 1772 erbauten Torbogen. Zeichnung um 1893 von Frida Mentz-Kessel (1878-1969). ⁴
Alte Fotografie um 1914, gelaufen als Postkarte am 13.11.1914. ⁵

Der Domhof gehörte im Mittelalter zum Domkapitel Worms. Hier stand eine große Scheune in der die Bauern der Umgegend ihren "Zehnten" ( = Zehnprozentige Steuer in Form von Naturalien) abliefern mussten. Diese ist noch heute ein Teil des Hofgevierts. Das heutige Wohnhaus wurde 1772 gebaut. Im 19. Jahrhundert kam der Domhof in den Besitz unserer Familie und mein Großvater Otto Kessel I. zog aus dem Kesselhaus in der Kapellenstraße in das große Anwesen.


Verziertes Oberlichtgitte mit den Initialen O.K. über dem rundbogien Eingang ("Mannpforte") zum Hof. ²


Ziergrotte und Gingkobaum


Mein Großvater Otto Kessel hatte großes Interesse am Gartenbau und wurde durch englische Landschaftsgärten dazu inspiriert, mit seinem Nachbarn, dem Gärtner Engelhardt, um das Wohnhaus herum einen Ziergarten anzulegen.


Die Familie im neu angelegten Ziergarten. Links der Giebel des neuen Anbaus zum Wohnhaus. ¹

Sie entwickelten ein Gartenkonzept mit großen Rasenflächen, einer Ziergrotte, einem kleinen von Felsplatten umrahmten Teich und einem schmiedeeisernen Gartenhaus.


Hier trank unsere Familie Sonntag nachmittags Kaffee und im Ziergarten wurden zu Ostern die Eier versteckt. Manchmal so gut, dass wir die Letzten erst im Sommer fanden.


Sonntägliches Kaffeetrinken im Garten. ¹

Die von meinem Großvater gepflanzten Bäume waren schon in meiner Kindheit zu stattlicher Größe herangewachsen. Es gab unter anderem zwei große Blutbuchen und als Besonderheit einen chinesischen Gingkobaum, der im Herbst wunderschöne goldgelbe Blätter bekam.


Der Garten als Spielplatz für mehrere Generationen der Familie. ¹

An den Ziergarten schlossen sich verschiedene Nutzgärten an, die in meiner Kindheit bis hinunter zur Selz reichten. Auf der Selz und den überfluteten Wiesen liefen wir im Winter Schlittschuh.


Winterlicher Spaziergang an der Selz. ³

Im Sommer liefen die Gänse durch den Garten zum Bach und kamen abends allein zurück zum Stall. Später wurden hier die Hofrat-Kessel-Straße, die Kurt-Schumacher-Straße und die Baumgartenstraße angelegt.


Frühe Karten von 1821 und 1859 mit dem Hof (rot umrandet) und der wahrscheinlichen Fläche der direkt angrenzenden Gärten. ²




Terrazzo-Fliesen und Hühner-Bein


Das Haus selbst hatte in meiner Kindheit und Jugend in den 30er bis 50er Jahren im Erdgeschoss neun und im ersten Stock fünf Zimmer und zusätzlich mehrere Wirtschaftsräume. Es ist ein L-förmiger Bau und der lange Teil wurde durch einen schwarz -weiß Terrazzo-gefliesten Flur in zwei Hälften geteilt.


Das alte Wohnhaus, das um 1890 mit einem Anbau einen L-förmigen Grundriss erhielt. ²

Zum ersten Stock führte eine breite hölzerne Treppe mit schmiedeeisernem Geländer. Die vielen Räume wurden immer wieder umsortiert und den Bedarfen der Bewohner angepasst. Es war viel los und ich war nie einsam, weil immer jemand da war.


Die Küche war der erste Raum in den man im Alltag kam. Hier kochte meine Mutter mit Unterstützung der Lehrlinge und des Pflichtjahrmädchens das Essen für etwa 19 Personen. Besondere Aufregung gab es, wenn Hühner gebraten wurden und jedes der anwesenden Kinder ein Beinchen wollte.


In der Küche aßen die Helfer, eine Magd, ein Knecht und ein "Schweizer" der sich um die Kühe kümmerte. Während des Krieges außerdem noch zwei Kriegsgefangene, die in der Landwirtschaft halfen und die Brückenwache, ein älterer Mann aus Siebenbürgen, der die Brücke über die Selz bewachte, damit der Feind nicht darüber kommen sollte.



Hund Flock unter'm Märchenbaum


Von der Küche aus kam man auf ein Podest. Hier lag der Hund Flock, und manchmal legte sich die Katze auf ihn, weil die beiden sich so gut verstanden.


Dann kam man in das Stübchen. Hier aßen an Werktagen Familie und Lehrlinge. Hier wurde auch der Ofen befeuert, der das Erdgeschoss mit Wärme versorgte. Auf der anderen Seite des Stübchens schloss sich das große Esszimmer an. In diesem wurde sonntags, bei Besuch oder Feierlichkeiten gegessen und hier stand an Weihnachten der große Weihnachtsbaum.


Rechts vom Stübchen war das Büro meines Vaters mit dem großen Schreibtisch und einer Adler-Schreibmaschine. An den Winterabenden saßen wir gemeinsam in diesem Raum, wir Kinder auf der Ofenbank und mein Vater las uns aus dem Buch "Unter'm Märchenbaum" vor. Besonders schön war es, wenn er lustige Bildergeschichten mit der Laterna Magica zeigte. Dies ist ein Vorläufer des Diaprojektors. Die Bilder waren auf Glasplatten gemalt und von hinten wurde mit einer Lampe hineingeleuchtet. Das waren Höhepunkte für uns.


Ich mit meinen drei Schwestern. ¹

Neben dem Büro war das Schlafzimmer meiner Großmutter. Auch dieses wurde über den Kachelofen geheizt, damit es ihr nicht zu kalt wurde. Bis ich acht war schlief ich gemeinsam mit ihr in diesem Zimmer und sie erzählte mir oft Märchen. Dann zog sie in den ersten Stock und ich hatte das Zimmer für mich.


Auf der anderen Seite des Flures waren die Schlafzimmer meiner Eltern, meiner drei Schwestern und der Salon mit den guten Möbeln meiner Großmutter. Diese Eichenmöbel hatte sie als Aussteuer bekommen und der Salon wurde nur bei besonderen Feierlichkeiten genutzt.



Soldaten und Geflohene


Das Haus lag am Rande von Selzen und war daher ein guter Ort für Truppeneinquartierungen. Zuerst kamen die deutschen Soldaten, die ihre Feldküche im Hof aufstellten. Die Offiziere aßen gemeinsam mit unserer Familie und der Hauptmann spielte mit meiner Schwester Strategiespiele, die sie meistens gewann.


Ab 1943 wohnten im ersten Stock des Hauses mehrere Flüchtlingsfamilien. Am längsten blieb die Familie Strczemieczny, eine Mutter mit drei Kindern. Sie waren entfernte Verwandte, die aus Berlin gekommen waren. Wir wuchsen sechs Jahre gemeinsam auf und sind auch danach immer in Kontakt geblieben.


Meine Mutter, meine Schwester und Maria von Strczemieczny. ¹

Als zum Ende des Krieges die Amerikaner näher rückten, zogen wir, die bei uns einquartierten Flüchtlinge und andere Bewohner der Domhofstraße in unseren Keller. Hier hatte jede Familie einen abgeteilten Bereich, der vorher als Kartoffellager genutzt worden war und wir lebten hier etwa zwei Wochen.


Später übernahmen die Amerikaner das Haus und wir mussten so lange bei Freunden und Verwandten in anderen Häusern des Dorfes unterkommen.



Hauswirtschaft und Herbstims


Als ich älter wurde ging ich zuerst bei meiner Mutter und dann in einen anderen Betrieb in die Hauswirtschaftslehre. Meinen zukünftigen Mann lernte ich kennen, als er Lehrling bei meinem Vater war. Damit auch ich Lehrlinge ausbilden konnte, machte ich einen Meisterinnenabschluss.


Nach unserer Hochzeit übernahmen mein Mann und ich den Betrieb und bauten ihn zu einem Weingut aus.


Anzeige von 1986. ²

Die Familie und Helfer(innen) zwischen den Weinreben um 1958: ³


Am Ende der Weinlese wurde in der alten Küche mit allen Helfern und Helferinnen der Herbstimbs gefeiert. Eine Tradition, die auch nach dem Umbau der alten Küche in eine Weinprobierstube weitergeführt wurde.


Beim Herbstimbs in der alten Küche. ¹

Auch sonst veränderte sich die Nutzung der Räume. Aus dem Stübchen wurde die neue Küche und das "feine" Esszimmer wurde zum Alltagszimmer, in dem jetzt alle gemeinsam die Mahlzeiten einnahmen.


Meine Eltern zogen in den ersten Stock, wir übernahmen ihr Schlafzimmer und mein Schlafzimmer aus der Kindheit wurde das neue feine Zimmer, in dem das Klavier stand und in dem die Familie Weihnachten feierte.


Mein Mann und unsere Lehrlinge vor dem Weingut. ¹
Herbst 1986: Mit Familie, Lehrlinge, freiwillige Helfer(innen) und Mitarbeiter(innen) im Wingert. ³

Die anderen Zimmer wurden nach und nach von meinen Töchtern übernommen, bis diese erwachsen wurden und eigene Haushalte gründeten.



Altes und Neues


Mittlerweile ist der Domhof nicht mehr Eigentum unserer Familie, sondern das Heim für neue Bewohner, die die vielfältigen Möglichkeiten der Räume wieder ganz anders genutzt haben. Aber von außen sieht man immer noch den vertrauten Bau und weitläufigen Garten meiner Kindheit und der Bogen über der Hofeinfahrt kündet stolz vom Jahr seiner Erbauung 1772. ²



 

Nachtrag:

Die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz zum denkmalgeschützen Domhof:

Der Domhof ist ein "Ortsgeschichtlich hochbedeutendes Anwesen, das in seinem Bestand die Entwicklung vom geistlichen Wirtschaftshof bis zum zeitgemäßen Ausbau durch einen wohlhabenden Gutsbesitzer um 1900 in anschaulicher Weise widerspiegelt."

Der "Ehemaliger Zehnthof des Wormser Domstiftes" ist eine "Großzügige Anlage im Wesentlichen des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts" und "im Ursprung vermutlich fränkische Hofstelle".


Reste des dazugehörigen fränkischen Gräberfeldes wurden einst in der Nähe der Gaustraße entdeckt. Der Bereich um den Domhof zählt vermutlich zu den drei ältesten Siedlungskernen, die dann im Laufe der Zeit zum Dorf Selzen zusammenwuchsen.

 

Galerie Domhof - Die Bilder von Heute zu den Erinnerungen an Damals. ²


Park und Garten:

Haus und Hof:

Dies und Das:



Bilderquellen:

Vielen Dank an Georg Stohr für die Führung durch den Domhof und die Möglichkeit die tollen Bilder machen zu dürfen.


¹ Bilderarchiv von Trude Eibach und Familie

² Bilderarchiv / Fotografien von Stefan Bremler

³ Bilderarchiv Bina Reinbold und Familie Bremler

⁴ Zeichnung von Frida Mentz-Kessel (1878-1969), Tochter von Johannes Kessel aus Selzen und spätere Künstlerin in Jena. Original in Besitz der Familie Schätzel, Selzen. Reproduktion von Stefan Bremler

⁵ Original im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt, HStAD Bestand R 4 Nr. 3155

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