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AutorenbildStefan Bremler

Hauptmann Klapper, der arme Lutz und der seltsame Krieg

Aktualisiert: 11. Feb. 2021

Ein wunderschönes Gemälde von der Kirchstraße in Selzen ist eines der letzten Vermächtnisse eines jungen Soldaten vor seinem Tod.


Ja, doch, es ist offensichtlich. Ich habe eine Schwäche für alte Darstellungen, Zeichnungen und Gemälde von Selzen.


Augenblicke der Selzer Geschichte


Auf der Seite Gemälde habe ich zusammengetragen, was ich bisher finden konnte.

Dazu gehören natürlich auch die jeweils in Blog-Beiträgen behandelten Kunstwerke vom Selzer Pfarrhaus (Link) und aus der Dorfkneipe "Zum Selzer Frosch" (Link).


Insgesamt ist es schon verwunderlich, daß es überhaupt so viele historische und bemerkenswerte Darstellungen von unserem kleinen Dorf gibt. Aber irgendwann sind sie dann auch alle eingesammelt, ... dachte ich.


Umso erstaunter und erfreuter war ich, als ich bei einem Gespräch mit Klaus Keller, dem Sohn des ehemaligen Selzer Schulleiters Georg Keller, auf ein weiteres - nicht nur mir gänzlich unbekanntes - Gemälde aufmerksam gemacht wurde.


Leider sind viele Fakten hierzu im Laufe der Zeit und in den Wirren des Krieges verloren gegangen. Aber das wunderschöne Gemälde und seine noch bekannte Geschichte sind es wert, in einem eigenen - wenn auch sehr kurzen - Blog-Betrag gewürdigt zu werden.


Der seltsame Krieg


Am 1. September 1939 entfesselte Adolf Hitler mit dem völkerrechtswidrigen Angriff auf Polen den Zweiten Weltkrieg. Da Frankreich und Großbritannien Beistandsverträge mit Polen abgeschlossen hatten, wurden deutsche Soldaten zur Sicherung in das Hinterland zur Grenze zu Frankreich verlegt. Auch in Selzen wurden 1939 Wehrmachtssoldaten einquartiert.


Dann begann der sogenannte "Sitzkrieg". So wird der Zustand an der Westfront des Zweiten Weltkrieges zwischen der Kriegserklärung Großbritanniens und Frankreichs an das Deutsche Reich am 3. September 1939 und dem Beginn des deutschen Westfeldzugs am 10. Mai 1940 beschrieben. "Sitzkrieg" oder auch "Seltsamer Krieg" deshalb, weil beide Seiten militärisch weitgehend passiv blieben. ¹


Die Franzosen, nicht vorbereitet auf einen Offensivkrieg, saßen in ihren Festungen der Maginot-Linie auf Gartenstühlen aus Plastik, spielten Karten, tranken Kaffee, plauderten. Soldaten joggten in den Wäldern, wanderten, pflückten Blumen und picknickten. Der Frontalltag hatte etwas von einer Pfadfinderfreizeit in reizender Gegend. Es kam zu spontanen Weinproben. ²

Auch die Deutschen warteten in und hinter ihrer Siegfried-Linie. Hitler hatte befohlen, den Beginn von Feindseligkeiten eindeutig England und Frankreich zu überlassen. Also bauten sie an ihren Befestigungsanlagen, pflegten ihre Waffen und Panzer. Halfen als Treiber bei der örtlichen Jagd, machten sich gelegentlich bei der Landbevölkerung nützlich oder spielten Skat im örtlichen Gasthof. ²


Auch in Selzen waren die Soldaten Stammgäste in den zahlreichen örtlichen Wirtshäusern.


Sause im "Zum Schützenhof" mit unbekannten Soldaten ³

Hauptmann Klapper und der "arme Lutz"


Bei Georg Keller, Lehrer in Selzen von 1932 bis 1957, wurde im Lehrerhaus in der Kirchstraße 11 Hauptmann Klapper einquatiert.


Hauptmann Klapper und die Familie Keller ⁴

Bei ihm und ebenfalls im Haus untergebracht war sein Adjutant Lutz Weiland (Nachname fraglich). Dieser war, vor seiner Einberufung und bis zur Schließung der berühmten Kunst-, Design- und Architekturschule, Kunststudent des "Bauhaus" in Dessau. Er nutze die Zeit des Wartens im "Sitzkrieg" für das Malen von Selzen, seiner Heimat auf Zeit.


Ein Gemälde der Kirchstraße mit dem Haus der Familie Keller schenkte er Frau Margarete Keller als Dank für die Unterbringung und Versorgung.



Das Bild zeigt den Blick entlang der Kirchstraße hinunter zu Gaustraße. Vorne links das ehemalige Lehrerhaus, rechts der Erbguthof Zimmermann, heute Familie Binzel. Im Hintergrund links der Selzer Pfarrhof.


Als nach acht Monaten Herumgesitze aus dem Sitzkrieg am 10. Mai 1940 ein Blitzkrieg wurde, fiel der junge Student in den ersten Wochen des Westfeldzugs. Hauptmann Klapper informierte die Familie Keller über sein tragisches Schicksal. Und so wurde in den Erinnerungen und im Fotoalbum von Frau Keller aus dem jungen talentierten Soldaten "der arme Lutz".


"Der arme Lutz" und Klaus Keller, Sohn von Lehrer Georg Keller ⁴

Auch Hauptmann Klapper überlebte den Krieg nicht.


Das Bild heute


Als die Familie Keller 1957 nach Mainz zog, wo Georg Keller eine neue Stelle übernahm, verließ auch das Gemälde Selzen.


Doch als Margarete Keller verstarb und Sohn Klaus Keller das Bild erbte, erinnerte er sich an ein einst gegebenes Versprechen. Und so wechselte das Gemälde den Besitzer und kehrte nach Selzen zurück. Es hängt heute bei Irmgard Feldmann in der Kirchstraße 9 ... und somit wieder in der Straße und einem der Häuser, welches das Bild so wunderschön wiedergibt.



Quellen:

Vielen Dank an Klaus Keller, Mainz, für das tolle Gespräch, die vielen Informationen und den Hinweis auf dieses Gemälde.

Vielen Dank an Irmgard Feldmann für das schöne Zusammenkommen und die Möglichkeit, dass Bild sehen und fotografieren zu dürfen.


¹ Vgl. Seite „Sitzkrieg“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 30. August 2020. URL:https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Sitzkrieg&oldid=203242689

² Vgl. Stefanie Maeck, "Sitzkrieg mit Schnaps" in Spiegel Geschichte,

³ Bild aus "Selzen - Bilder aus vergangenen Tagen 1900-1945", Geiger-Verlag ,1989

⁴ Bilder aus Fotoalbum der Familie Keller

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