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  • AutorenbildStefan Bremler

Requiem für ein Haus

Eines der ältesten Häuser von Selzen wurde niedergelegt. Beim Abschiednehmen erinnerte das barocke Wohnhaus ein allerletztes Mal an seine über 300-jährige Geschichte.


Jetzt ging es doch schnell und die letzten Hoffnungen auf eine wundersame Rettung waren natürlich längst naiv zu nennen. Das Haus am Ende der Weyerstraße (Nr. 8) wurde in den letzten Tagen (11. und 12. KW 2024) abgerissen.


Das barocke Wohnhaus wurde Ende des 17. oder Anfang des 18. Jahrhunderts erbaut und war mit seinen über 300 Jahren eines der ältesten noch existierende Wohnhäuser in Selzen.


Haus und Hof (rot umrandet) am Ende der Weyerstr. auf einer Karte von 1859.

Ein Bild aus besseren Tagen zeigt - schon betagt aber noch in recht gutem Zustand – das damalige Haus von Otto Binzel (Treppe-Binzel).


Das Haus noch mit Hoftor und umfassender Mauer. Wer der junge Mann mit dem Stock war, ist nicht bekannt.¹

Der Vorbau über dem Eingang zeigt aber auch schon in dieser frühen Aufnahme (etwa um 1920) eine bedenkliche Absenkung. Er wurde aus Sicherheitsgründen später entfernt und so nahm das Haus die Gestalt an, die wir kannten. Wobei das Haus schon seit Jahrzehnten hinter dichtem Wildwuchs nur noch zu erahnen war. Wohnen konnte dort schon lange niemand mehr.






Denkmalschutz reichte nicht

Bis vor einigen Jahren war das Haus noch in der Denkmalliste des Landes Rheinland-Pfalz aufgeführt und stand als Kulturdenkmal der Ortsgemeinde Selzen unter Denkmalschutz.


In dem Buch " Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz: Band 18.3 – Kreis Mainz Bingen" von 2011 heißt es zu dem Anwesen in der Weyerstraße:


"Wohnhaus einer abgängigen Hofanlage, vermutlich am Ausgang des 17. oder zu Beginn des 18. Jh. am Ende der Sackgasse, von dieser zurückversetzt, erbaut. Das gemauerte Erdgeschoß aus jetzt unverputztem Bruchsteinmauerwerk mit schlichter Sandsteingliederung. Im Obergeschoß zurzeit nur teilweise freiliegendes, auskragendes Sichtfachwerk mit leicht gekrümmten Streben. Einige Öffnungen gekuppelt. Der etwa mittig Hauseingang (gefeldertes Türblatt des 19. Jh.) über Freitreppe, rechts davon rundbogige Kellertür. Satteldach mit alter Bieberschwanzdeckung. Die Binnenstrucktur des 18.-19. Jh. im Wesentlichen ungestört. Schlechter baulicher Zustand. Gutes Beispiel für die landschaftstypische barocke Mischbauweise aus der Wiederaufbauzeit nach dem Pfälzischen Erbfolgekrieg." ³

Das denkmalgeschützte Haus in der Weyerstraße. Bild von Rainer Rath, Oberkirchen.²

Die für den Denkmalschutz zuständige Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz konnte natürlich nicht über den sehr schlechten baulichen Zustand hinwegsehen und ordnete, wie in solchen Fällen üblich, Maßnahmen zur Erhaltung des Gebäudes an.


Als diese jahrelang nicht umgesetzt wurden und herunterfallende Teile und gar der Einsturz drohte, wurde der Zwangsabriss angeordnet. Erfordernisse des Gemeinwohls überwogen in diesem Fall gegenüber den Belangen des Denkmalschutzes.


Und so ist wieder ein Stück Selzer Geschichte unnötigerweise verloren gegangen.


Bevor der Bagger kam, war ich noch schnell in dem Gebäude und habe zumindest ein paar Fotografien von dem Haus und seinen Räumen als Erinnerung angefertigt.



Ich lade ein zu einem letzten kleinen Rundgang.


Rund um das Haus:

An der Fassade war die Bauweise mit Fachwerk, Geflecht und Lehm deutlich zu sehen. Schon von außen beeindruckte die Größe des alten Wohnhauses. Der bereits vorgenommene Abriss des Dachstuhls lässt den Zustand des Hauses und Geländes weit dramatischer aussehen, als der Zustand der Bausubstanz tatsächlich war.




Der Keller:




Erdgeschoß:

Der Eindruck täuschte nicht. Das Haus war überraschend großzügig erbaut. Im Erdgeschoß befanden sich 5 Zimmer und ein großes geteiltes Wohnzimmer ("die gut Stubb"). Schmuckleisten an Türen und Fenster zeugten von einem einst eher vornehmen Haus.




Erster Stock:

Auch hier war mit insgesamt 5 Zimmer und Flur viel Platz.




Dachspeicher:

Aufgrund des bereits abgerissenen Dachstuhls konnte ich nur einen Blick auf den ehemaligen Dachboden werfen. Verblieben war nur einer der beiden Schornsteine.




Wandschmuck:

Interessant waren auch die noch sichtbaren Tapeten. Die Muster wurden wohl mit einer Strukturwalze aufgetragen.




Leider war dieses Haus nur der Auftakt zu weiteren Abrissen von alten, heruntergekommenen und leider nicht mehr zu rettenden Häusern. Bleibt für Selzen zu hoffen, dass zumindest anderen denkmalgeschützen Häusern das Schicksal der Weyerstraße 8 erspart bleibt.




Quellen:


¹ Fotografie aus "Selzen – Bilder aus vergangenen Tagen 1900-1945". Gemeinde Selzen , Geiger-Verlag, Horb am Neckar, 1989.

² Fotografie von Rainer Rath, Oberkirchen, aus "Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz, Band 18.3 Kreis Mainz-Bingen". Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Worms, 2011.

³ Dieter Krienke: "Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz, Band 18.3 Kreis Mainz-Bingen". Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Worms, 2011. Ortsgemeinde Selzen, Seite 346.


Alle anderen Fotografien von Stefan Bremler, 2020-2024

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